von Georg » 11.05.2006, 09:29
Das wäre das Ende der alten Tante Märklin, wie viele Fans die Firma liebevoll nennen.
Was da berichtet wird, erklärt uns zumindest, warum vieles nicht nach unseren Wünschen gelaufen ist. Man kann nicht immer Geld aus einer Firma herausziehen. (Ob das unsere Bundesregierung auch weiß?)
Nun kommen Dinge hervor, die nicht sein dürften. Ein Manager wie Herr Adams kann auch wenig ausrichten, wenn die Gesellschafter nicht mitziehen. Schließlich ist er von den Gesellschaftern abhängig und nicht umgekehrt.
Vor einigen Tage hatte die Stuttgarter Zeitung in Ermangelung aktueller Nachrichten tief in der Kiste mit der schmutzigen Wäsche gewühlt. Durch den vorstehenden Bericht ist einiges davon schon überholt.
Stuttgart - Das Schicksal von Märklin soll sich diese Woche entscheiden. Die Anwälte der Familien und des Investors haben sich auf einen neuen Kaufvertrag geeinigt. Nun wartet man auf die Unterschrift der drei bisher verkaufsunwilligen Eigner.
Claudius Märklin versteht die Welt nicht mehr. Seit Jahrzehnten trägt der Urenkel des Firmengründers Wilhelm Märklin seinen Namen mit großem Stolz durch Göppingen. In den vergangenen vierzehn Tagen allerdings musste er den Kopf einziehen. Seine eigenen Mitarbeiter warfen ihm öffentlich vor, die Zukunft von 1350 Märklin-Familien zu gefährden. Die IG Metall nannte sein Verhalten unerträglich, und in Göppingen traut Claudius Märklin kaum noch seinem eigenen Schatten. "Ich glaube, mein Telefon wird abgehört", sagt der Erbe. "Wir können uns auf der Straße nicht mehr bewegen."
Mit "wir" meint Märklin sich selbst, Peter Märklin (geborener Stradinger, 47), und Dieter Stradinger (45). Alle drei sind Nachkommen des Firmengründers und sperren sich gegen den Verkauf der Firma an den britischen Finanzinvestor Kingsbridge Capital. ....
Die Geschäftsführung befürwortet den Schritt ebenfalls, und selbst der Betriebsrat will den Einstieg des Investors. Doch Claudius Märklin zeigt sich unbeeindruckt. "Ich muss mich der Mehrheit nicht beugen", sagt der 62-Jährige. "Wir (Claudius und Peter Märklin, Stradinger) sind nur zum Wohle der Firma da."
Es ist nur schwer zu beschreiben, mit welcher Bitterkeit diese Worte bei den Mitarbeitern von Märklin aufgenommen werden. Fast jeder in Göppingen weiß, wie schlecht es um die Firma steht. Unbekannt war jedoch, warum sich der Verkauf eigentlich so lange hinauszögerte. Seit Monaten verhandeln die Gesellschafter exklusiv mit Kingsbridge, und eigentlich hätte das Geschäft schon vor Ostern vollzogen sein sollen. Als die Mitarbeiter vor zwei Wochen aus der Stuttgarter Zeitung erfuhren, welche Personen den Einstieg des Investors blockieren, fühlten sich viele von ihnen geradezu verhöhnt. "Ich habe gedacht, ich sehe nicht richtig", sagt ein Mitarbeiter, der seit mehr als zwanzig Jahren bei Märklin ist. "Ausgerechnet diese Kerle! Ausgerechnet die!"
Es ist nicht das erste Mal, dass Claudius Märklin und Dieter Stradinger im Gesellschafterkreis auffällig geworden sind. Vor einem Jahr schreckte Göppingen wegen einer Nachricht aus Garmisch-Partenkirchen hoch. Dort stand Claudius Märklin wegen Körperverletzung vor Gericht - nach einem Oldtimertreffen kam es an einer Ampel zu einer Handgreiflichkeit. Das wäre noch Privatsache. Doch als Claudius Märklin im Verhandlungssaal nach seinem Einkommen gefragt wurde, sagte er: "1800 Euro", und bat später bei seiner Verurteilung zu 3000 Euro Geldstrafe um Ratenzahlung. Auf ungläubige Nachfragen des Richters ergänzte der Angeklagte Märklin: "Die Firma Märklin steht marode an der Wand." Am nächsten Tag waren diese Worte in ganz Bayern zu lesen. Eine der Schlagzeilen: "Märklin-Chef spielt Rambo".
"Ich habe damals ein Schreiben mit einer Regressforderung aus der Firma erhalten, dass ich rufschädigende Äußerungen unterlassen soll", sagt Märklin. Und wie hat er reagiert? "Ich habe es gelesen und weggelegt." Warum er auf Ratenzahlung bestand und den Namen Märklin in der Öffentlichkeit lächerlich machte, bleibt unklar. Gegenüber der Stuttgarter Zeitung sagt Claudius Märklin, er besitze zwei Häuser, mehrere Oldtimer und durch seine Heirat mit Sylvia Lederer auch mehrere Firmen. Vielleicht handelt es sich bei Märklins Verhalten vor Gericht einfach um Trotz. Noch heute sagt er über seinen Ankläger, den er mit der Faust schlug: "Der Mann hat gelogen. Das war Notwehr. Aber mein Anwalt war unfähig."
Während Claudius Märklin seiner Firma ungewünschte Aufmerksamkeit verschaffte, darf ein anderer Gesellschafter sie gar nicht mehr betreten. Es ist eines der peinlichsten Geheimnisse der Unternehmensgeschichte, dass vor etwa zehn Jahren ein Eigentümer bei Märklin einbrach und mehrere Produkte entwendete. Mitte der 90er - das war die Zeit, als die Probleme bei Märklin begannen und die jährlichen Ausschüttungen an die Gesellschafter ausblieben. Einer von ihnen beschloss offenbar, sich seine Dividende selbst zu besorgen. Sein Name ist unter älteren Mitarbeitern wohl bekannt. Er selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Paul Adams, der Geschäftsführer von Märklin, wollte sich zu diesem Fall nicht äußern. Er bestätigte aber, dass es gegen einen der 22 Gesellschafter ein Hausverbot gibt: Dieter Stradinger.
Bei Märklin gilt Stradinger als schwarzes Schaf. Trotzdem ist seine Unterschrift für den Verkauf der Firma notwendig. Der Gesellschaftervertrag sieht vor, dass jeder Einzelne seine Anteile nur mit der Zustimmung aller anderen Eigentümer an einen Dritten veräußern darf. Dabei ist die Lage der 22 Eigner ganz unterschiedlich. Das Stammkapital beträgt 12,64 Millionen Euro. Claudius Märklin besitzt davon rund 14 Prozent, Stradinger ein Prozent. Die größte Einzelgesellschafterin ist Susanne Friz-Kind (52) mit etwa 20 Prozent der Anteile. Friz-Kind ist eine Nachfahrin von Emil Friz, der 1892 als Geldgeber in die Firma eintrat. Der dritte Urgesellschafter hieß Richard Safft und kam 1907 hinzu. Heute gehört die Firma den Familien Märklin, Friz und Safft zu je einem Drittel.
19 der Eigentümer haben bereits vor Wochen einem Angebot von Kingsbridge zugestimmt. Warum die drei anderen sich sperren, ist offen. Auf Nachfragen behauptet Claudius Märklin zwar, er versuche mit aller Kraft eine Standortsicherung für Göppingen herauszuhandeln, und es gehe ihm allein um die Arbeitsplätze. Aber weder die Geschäftsführung von Märklin noch der Betriebsrat wissen von Plänen, an den rund 700 Stellen in Göppingen etwas zu ändern. Ein Verhandlungskenner sagt: "Es gab ungefähr 50 schriftliche Forderungen von Herrn Märklin. Bei keiner davon ging es um Arbeitsplätze."
Bleibt das Geld. Nach Angaben aus Verhandlungskreisen soll Kingsbridge bereit sein, den Gesellschaftern insgesamt bis zu 30 Millionen Euro für die Anteile zu zahlen. Nur dreizehn Millionen würden sofort fließen, zwei Millionen blieben für eventuell nicht entdeckte Probleme in den Geschäftsbüchern unter Verschluss. Den Rest wolle Kingsbridge zahlen, wenn man Märklin wie geplant in drei bis sieben Jahren an einen anderen Investor weiterverkauft. Diese so genannte Exit-Beteiligung ist jedoch erfolgsabhängig. Wenn Märklin sich so entwickelt, wie sich der Investor das vorstellt, könnten die Gesellschafter bis zu fünfzehn Millionen Euro erhalten. Je weiter die Realität von dem Idealfall abweicht, desto stärker sinkt dieser Betrag.
Wenn sich die Gesellschafter nicht beeilen, bekommen sie gar nichts. In einer Woche können Märklins fünf Hausbanken ihren so genannten Sicherheiten-Treuhandvertrag kündigen. Er wurde vor etwa einem Jahr geschlossen, um alle Banken gleich zu stellen und zu gewährleisten, dass nicht diejenige mit den schwächsten Sicherheiten die Nerven verliert und ihre Kredite fällig stellt. Die Banken fordern seit mehr als einem Jahr den Einstieg eines Investors. Zahlreiche andere Fristen sind bereits verstrichen. Das Märklin-Management rechnet nun fest damit, dass die Banken von dem Kündigungstermin am 15. Mai Gebrauch machen. Von diesem Tag an hätte der Geschäftsführer Adams drei Wochen Zeit, um die Lage zu analysieren und zu entscheiden, ob Märklin die Zahlungsunfähigkeit droht oder nicht. Sollte es so sein, muss er zum Amtsgericht und Insolvenz anmelden - andernfalls macht er sich strafbar. In der Insolvenz wären die Anteile der 22 Eigentümer praktisch wertlos.
Nun hängt alles an den drei Gesellschaftern, die sich bisher gegen den Verkauf sperrten. Seit Sonntag liegt ein neuer Kaufvertrag vor. An dem Preis hat sich nichts geändert, doch die Gewährleistungspflicht der Gesellschafter soll reduziert worden sein. Ursprünglich sollten die Gesellschafter etwa für den Fall haften, dass das Finanzamt bei einer Prüfung nachträgliche Forderungen stellt. Diese Gesellschafterhaftung wurde laut Verhandlungskreisen abgemildert. Nun könnte es noch diese Woche zu einem Abschluss kommen - die Rechtsanwälte aller Parteien haben den Kompromiss gebilligt. Es fehlen nur noch die Unterschriften der Eigentümer. Beteiligte sprachen wegen der Bankenfrist und dem komplizierten juristischen Procedere von einem extremen Zeitdruck. Claudius Märklin dagegen gab sich am Wochenende gelassen. "Natürlich gibt es Zeitdruck, aber den muss ich wegschieben", sagte der Firmenerbe. "Ich bin ganz cool geworden."
Von Sönke Iwersen, StZ
08.05.2006 - aktualisiert: 08.05.2006, 09:16 Uhr